Wie viele sicher schon mitbekommen haben, haben wir den Prozess der IS-Rückkehrerin Elina F. beobachtet und in einem Podcast analysiert. Zudem haben wir in der Jungle World einen Hintergrundartikel veröffentlicht. Da wir aus redaktionellen Gründen nicht alles unser Analyse verarbeiten konnten, wollen wir hier unseren ungekürzten Artikel teilen.
Das Oberlandesgericht Hamburg hat Elina F. zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Sie war 2013 nach Syrien gereist, um sich dem »Islamischen Staat« anzuschließen. Als Bündnis drift – feminist alliance for communism sind wir dem Aufruf verschiedener Initiativen wie dem êzîdîschen Frauendachverband gefolgt, Prozesse gegen IS-RückkehrerInnen zu beobachten. Wir haben den Prozess gegen Elina F. vor dem Hamburger Oberlandesgericht von Anfang bis Ende begleitet und unsere Beobachtungen in einem Audio-Prozesstagebuch dokumentiert.
Bereits nach elf Prozesstagen wurde Elina F. am 09. September 2020 zu einer Haftstrafe von nur zwei Jahren auf Bewährung nach §129b StGB verurteilt. Die 30jährige Hamburgerin war im September 2013 ihrem damaligen Ehemann Serkan E. nach Syrien gefolgt und hatte sich dort dem »Islamischen Staat« (IS) angeschlossen. Das Urteil fiel – insbesondere im Vergleich mit jüngsten ähnlichen Verfahren gegen kurdische oder türkische Linke – ausgesprochen mild aus, zumal die Anklagepunkte und Schuldfähigkeit in vollem Umfang bewiesen wurden. Neben ihren verfahrensverkürzenden Aussagen, einem der Richterin zufolge »von Reue getragenem Geständnis«, wirkten sich auch die guten Sozialprognosen positiv auf das Strafmaß aus. So habe sich Elina F. dem Gericht zufolge aus eigener Kraft von der Ideologie gelöst und sich im Zuge ihrer Haft im kurdischen Lager Ain Issa auf wundersame Weise selbst deradikalisiert. Die Richterin sprach in ihrer Urteilsbegründung gar davon, dass Elina F. am Ende des Prozesses eine »entgegengesetzte Person« zu der sei, die 2013 nach Syrien ausgereist war – nicht die einzige skurrile Wendung in dem Verfahren.
Als Mitglied des IS hatte sie unter anderem an einem Propagandavideo mitgewirkt, in dem sie insbesondere Frauen aufrief, nach Syrien zu kommen und sich dem bewaffneten Jihad anzuschließen. Einer Freundin gegenüber erklärte sie, ihren inzwischen geborenen ersten Sohn »zum Kämpfer Allahs« erziehen zu wollen. Nach dem Tod ihres ersten Ehemannes Serkan E. bekam sie im Herrschaftsgebiet des IS in einem »Frauenhaus« Islamunterricht und erhielt als Frau eines sogenannten Märtyrers und Mutter diverse Zahlungen – eine Zeit, in der sie »wie eine Prinzessin gelebt« habe, so die Angeklagte vor Gericht.
Während der Staatsanwalt in seinem Plädoyer betonte, Elina F. hätte bewusst Möglichkeiten zur Flucht ungenutzt gelassen, sprach ihre Verteidigerin von einer schicksalshaften Tragödie ihrer Mandantin. Sie beschrieb Elina F. als handlungsunfähig und »kleines Getriebe im Rad« – es sei perfide, wie der IS Biografien wie die der Angeklagten missbrauchen würde. Ihre Kindheit und Jugend waren von Armut und Gewalt geprägt. Sie wuchs in einer proletarischen und ausgesprochen patriarchalen Familienkonstellation auf, in der die Kinder wiederholt erleben mussten, wie der Vater ihre Mutter verprügelte. Nach deren Trennung verbündeten sich ihre Brüder mit dem Vater, die Gewalt richtete sich zunehmend gegen Elina F. Während der Vater die Wohnung verlor, brach sie ihre Ausbildung als Bäckereifachverkäuferin ab und lebte eine Zeit lang auf der Straße.
Serkan E., den sie seit Jugendjahren kannte, holte sie aus diesem Elend heraus, er habe sie »gerettet«. Die daraus entstandene affektive Bindung scheint bis heute an Strahlkraft kaum nachgelassen zu haben. Sie kam bei seiner Familie unter und wurde dort »wie eine Tochter« aufgenommen. Doch in der Beziehung zu Serkan E. reproduzierten sich ihre früheren Gewalterfahrungen. So sei er ihr gegenüber wiederholt gewalttätig geworden. Als Mitglied der Hells Angels war er in eine milieuinterne Schießerei verwickelt, sodass ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes gegen ihn eingeleitet wurde. Im Jahr 2012 erreichte seine Gewalt gegen Elina F. einen Höhepunkt: Weil sie sich nach einem Streit von Serkan E. getrennt hatte, stellte er ihr nach und versuchte, sie mit einem Auto zu überfahren. Bei dem anschließenden Verfahren wegen des versuchten Femizids war seine damalige Verteidigerin Ina Franck – die jetzige Anwältin von Elina F.
In die Zeit der Trennung fällt ihre – voneinander unabhängige und für islamistische TerroristInnen nicht unübliche – schnelle Radikalisierung zum Salafismus. Ihre Hinwendung zum Islamismus stellte in vielerlei Hinsicht einen Versuch dar, sich von dem ‚Schmutz‘ ihrer Vergangenheit durch eine religiöse Wiedergeburt zu ‚reinigen‘. Doch dieser blieb haften und spiegelt sich in ihrem bis heute intakten Feindbild: Vor Gericht bediente sie immer wieder antikurdische und andere rassistische Ressentiments. So begründete sie ihre Rückkehr nach Deutschland unter anderem damit, dass es in Syrien so »dreckig« und »unordentlich« gewesen sei, was, wie sie sagte, »in deren Kultur« läge. Positiv wirkte sich indessen auf das Urteil von Elina F. aus, dass ihr »Ordnung und Sauberkeit« ein besonderes Anliegen seien, wie es in ihrer Sozialprognose heißt.
Vor Gericht beschreibt sie ihr Wiedersehen mit Serkan E. als reinigendes Erlebnis: Er sei wie ausgetauscht gewesen, hatte sich »um 180 Grad gedreht«. Er habe plötzlich gute Kleidung getragen, sei gepflegt gewesen und hätte viel ruhiger gewirkt, nicht mehr so aufbrausend. Auch für die Gewalt ihr gegenüber hätte er sich entschuldigt und ihr erklärt, dass Frauen im Islam besonders geehrt würden. Wahrscheinlich glaubte sie wirklich – auch bis heute – dass sich Serkan E. im Sinne des von ihr projizierten männlichen Idealbildes verändert habe. Doch die männerbündischen Affekte, sein Frauenbild und seine Sexualvorstellungen blieben intakt, nur eben streng reguliert durch islamistische Glaubenssätze.
In der Beziehung zwischen Elina F. und Serkan E. scheint ein Moment auf, das für ideologische Verstrickungen in den Islamismus allgemein zentral ist: Für die Angeklagte spielten ihrerseits männerbündische Affekte eine Rolle, die freilich vermittelt funktionieren: Sie profitierte emotional von der Bindung an den patriarchalen Idealtyp, der nicht nur betont heterosexuell und »wehrhaft« war, sondern einer »höheren Sache« diente (Bruderschaft, Ehre, Umma usw.). Denn so konnte sie sich in ihre phantasierte Frauenrolle als Prinzessin begeben. Einerseits sei er ein ‘richtiger Mann’ gewesen, der ‘seine Frau’ ehrt. Andererseits wird aber die als bedrohlich wahrgenommene abgespaltene Weiblichkeit, die zur Herstellung einer solchen Männlichkeit abverlangt wird, im Männerbund verdrängt. Die misogynen Aggressionen, die er Elina F. spüren ließ und die sich sowohl bei den Hells Angels als auch beim IS wiederfinden, waren im wahrsten Sinne des Wortes in Serkan E. verkörpert.
An entscheidenden Stellen spielen in Elina F.s Biografie Frauen eine bedeutende Rolle. So war eine Freundin bei der Konvertierung und der darauf aufbauenden Hinwendung zum Islamismus zentral. Auch scheint die Konkurrenz innerhalb ihrer Clique, die bessere Muslima sein zu wollen – eine spezifische innerweibliche Konkurrenz, die als Pendant zum männerbündischen Konkurrenzverhalten gelten kann – eine wichtige Triebfeder gewesen zu sein. Ihre Ausreise plante sie mit einer weiteren Freundin, die mit ihrem Ehemann Knotenpunkte in der salafistischen Szene Hamburgs und der Bundesrepublik bildeten. Sie fand sich vor diesem Hintergrund schnell in ihrer neuen Rolle im IS ein, die darin bestand, ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter zu erfüllen und so dazu beizutragen, die Grundlage des IS abzusichern. Frauen sollen der islamistischen Ideologie zufolge das Fundament der Familie bilden, eine wichtige Rolle bei der Erziehung der nächsten Generation spielen und den »Kämpfern« den Rücken freihalten. Zudem tragen einige als Lehrerinnen oder, wie im Fall von Elina F., mit Propaganda aktiv zu der Rekrutierung bei.
Die Frage der Richterin nach den ideologischen Verstrickungen der Angeklagten blieb im Prozess – wenig überraschend – unbeantwortet. Zwar hat sie sich augenscheinlich vom IS als Organisation distanziert. Dass sie sich vor Gericht ohne Kopftuch zeigte und nach der Urteilsverkündung eine Flasche Sekt öffnete, legt auch eine Abkehr von streng islamischen Grundsätzen nahe. Doch mit der zugrundeliegenden affektiven Bindung zu Männerbund, Familienideologie und islamistischem Antiimperialismus scheint sie nicht gebrochen zu haben. Hierfür spricht unter anderem, dass sie bis heute nicht in der Lage ist, Opfer zu benennen, etwa die vertriebenen oder geflohenen Syrer_innen, in deren Wohnungen sie wohnte, oder vom IS versklavte Êzîdinnen. Opfer oder Betroffene tauchen in ihrer Erzählung nur dann auf, wenn sie sie in eine »Gemeinschaft der Leidenden« einordnen kann, von der sie selbst Teil war. Als islamistische Täterin will sie sich aber nicht verstanden wissen, sondern als Verirrte, die Fehler gemacht hat.
Dementsprechend brachte ihre Verteidigerin im Plädoyer die Hoffnung zum Ausdruck, dass sie nicht »nochmal in ihr Unglück rennt«. Unter Tränen und mit nunmehr nationalistischem Pathos flehte Elina F. in ihrem letzten Wort die Richterin an, ihr Land möge ihr verzeihen – sie habe Fehler gemacht, wie alle Menschen welche machen, und wolle aus ihnen lernen. Sie wisse nun, dass sie »hierher« gehöre. Ihre Strategie ging auf und so konnte sie den Gerichtssaal am 09. September 2020 zwar als verurteilte Islamistin, aber auf freiem Fuß verlassen.