Wir haben uns als bundesweites Bündnis drift – feminist alliance for communism zusammengeschlossen, um für eine radikale feministische und queere Gesellschaftskritik zu streiten. Das Bündnis steht für das Bestreben innerhalb feministischer und queerer Bewegungen radikale Gesellschaftskritik stark zu machen. Diese soll eine Umwälzung der herrschenden Verhältnisse zum Ziel haben, die auf die Befreiung aller Menschen abhebt und bis dahin eine emanzipatorische Perspektive im Hier und Jetzt mitdenkt. Diese Kritik ist gegen das gerichtet, was wir als moderne Antimoderne bezeichnen. Damit meinen wir das Erstarken von Islamismus und Nationalismus, die beide patriarchale Vergemeinschaftungsideologien sind. Sie geben sich kapitalismuskritisch, stützen dabei aber die Aufrechterhaltung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse.
Für Mai und Juni machen wir daher gegen unterschiedliche AkteurInnen aufmerksam, die beide mehr eint, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Während im sächsischen Erzgebirge Jahr für Jahr christliche FundamentalistInnen marschieren, um das „ungeborene Leben“ zu betrauern, treffen sich jährlich in Berlin AntisemitInnen, um zur Eroberung Jerusalems aufzurufen. Wir sagen: als linke, emanzipatorische Feminist*innen gehen uns beide Aufmärsche gleichermaßen an. Auch wenn es dieses Jahr aufgrund von Corona keine Märsche auf der Straße geben wird, muss den transportieren Inhalten in anderer Form vehement entgegen getreten werden.
KONTROLLE WEIBLICHER KÖRPER
Beide Strömungen fordern von außen gesteuerte Kontrolle über den gebärfähigen Körper. Frauen sollen Kinder bekommen, Abtreibungen sind tabu — weibliche Selbstbestimmung in all ihren Facetten ist weder in ihren Gesellschaftsentwürfen noch der alltäglichen Praxis vorgesehen. So unterschiedlich die islamistischen Kräfte des Al-Quds-Marsch und die völkisch-fundamentalistischen „LebensschützerInnen“ sind, so eint sie doch ihre Vorstellung von Frauen als tugendhaft, jungfräulich, mütterlich und asexuell. Ob Mädchen und Frauen ausgeschlossen oder Gewalt ausgesetzt werden, weil sie ihrer eigenen Wege gehen, oder ob sie gegen ihren Willen gezwungen werden, eine Schwangerschaft auszutragen oder eine Ehe einzugehen: selbstbestimmte Frauen sind beiden AkteurInnen ein Gräuel und der antifeministische Reflex in beiden Strömungen so stark, das sich die konkrete Gefahr für Leib und Leben selbst bestimmter Frauen in diesen Kontexten potenziert.
Beide vereint, dass sie die vehementesten Agenten patriarchaler Herrschaft sind, beide vereint das Faible für die Familie mit starren und binären Geschlechterrollen: Hier darf es keine Abweichungen und Uneindeutigkeiten geben. Dies äußert sich in strikten Regeln zu männerdominierter Heterosexualität, klarer Zweigeschlechtlichkeit und unbändiger Gewalt gegenüber homosexuellen, trans, inter und anderen queeren Menschen. Die Familie gilt als Hort der Ehre, des Ansehens und der Tugend und ist die wertvollste Einheit ihrer Gesellschaftsentwürfe und praktischen Lebensweisen. Während die völkisch-fundamentalistischen Kräfte darauf drängen ihre Bevölkerungs- und Familienpolitik durch beispielsweise die AfD in den europäischen Parlamenten umzusetzen, sind die islamistischen AkteurInnen darauf aus, muslimische Communities zu prägen und in den staatlichen Religionsunterricht zu wirken. So werden die DemonstrantInnen des Al-Quds-Marsches u.a. durch die islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands, kurz „IGS“, bundesweit mit Bussen zur Demonstration gefahren. Der Vorsitzende der „IGS“ Mahmood Khalilzadeh sieht sich in der Tradition der „islamischen Revolution“ und als Schüler der Todesrichter Mousawi Ardabili und Mahmoud Hashemi Shahroudis, die für die Ermordung von tausenden Oppositionellen, Frauen und Kritiker*innen gegen die rigiden Sittengesetze des iranischen Mullah-Regimes verantwortlich sind.
FAMILIE UND GESCHLECHTERROLLEN
Beide Bewegungen versuchen abseits der Märsche gesellschaftlich Einfluss zu nehmen, indem sie tägliche Care-Arbeit und Communitiy-Aufgaben übernehmen. Dabei vermitteln auch Frauen ihre Werte, Ideologie, alltägliche Rituale und Verhaltensweisen. Unter dem Deckmantel der Nächstenliebe sind christliche FundamentalistInnen gerade in strukturschwachen ländlichen Regionen wie dem Erzgebirge aktiv, IslamistInnen unter dem Credo der Einheit und „Solidarität“ der Muslime eher in Gegenden wie dem Ruhrgebiet. Sie bieten Anlaufpunkte für Menschen, die durch einen erodierenden Sozialstaat und zunehmende Brutalisierung des Kapitalismus Halt und Anschluss suchen. Beide Bewegungen nutzen Alternativlosigkeit oder Notlagen, um Menschen für sich zu gewinnen. Bei IslamistInnen kommt hinzu, dass sie die tatsächlichen rassistischen Ausschlüsse und die feindliche Außenwelt auf perfide Weise für sich zu nutzen wissen (2). So wurden im Oktober 2019 an mehreren Ruhr-Unis zielgerichtet getrennt an Frauen und Männer Werbeflyer für die „Muslim Students NRW“ verteilt, die sich offen auf social media mit der Muslimbruderschaft solidarisiert (1).
Familienbilder und Geschlechterrollen beider Strömungen entspringen der Vorstellung eines diffusen, guten „Früher“, das vor dem Aufkommen der liberalen „dekadenten“ Gesellschaften noch Ordnung kannte. Das ist Romantisierung und historischer Nonsens. Vielmehr geht es um antimoderne Antworten auf moderne Versprechen von Freiheit und Gleichheit. Bekanntermaßen gelten diese Versprechen bisher vor allem für weiße Männer, sind aber grundlegend eine Errungenschaft hinter die nicht mehr zurück getreten werden kann. Von hier aus können progressive linke Kräfte mehr wollen, mehr einfordern, darum kämpfen, dass Freiheit und Gleichheit eines Tages für alle Menschen verwirklicht werden.
FRAGILE MÄNNLICHKEIT
Der Hass auf die Errungenschaften der verschiedenen Frauenbewegungen speist sich aus einer Gegenbewegung zum pluralisierenden Fortschritt. In den letzten Jahrzehnten haben linke, antirassistische, feministische und queere Bewegungen viel erkämpft: Gesellschaften sind pluralistischer, freiheitlicher und zumindest ein bisschen gleicher geworden. Unbestreitbar mussten manche Männer — Pfaffen, Familienväter, Chefs und andere „Alphamänner“ — ihre Posten räumen und Federn lassen. Genau deswegen sind Feministinnen, Queers, Kommunist*innen etc. die Feindbilder patriarchal-autoritärer Kräfte, ob sie nun islamistisch oder völkisch-fundamentalistisch daherkommen.
Doch nicht nur die: Antifeminismus ist der kleinste gemeinsame Nenner aller Strukturen in denen mehrheitlich Männer repräsentative Positionen bekleiden und patriarchale Ideale vertreten sind. Deswegen dürfen wir nicht vergessen: islamistische, völkische, christliche-fundamentalistische Kräfte, Incels, …. sind nur die Speerspitze des Antifeminismus. An ihnen lässt sich aufzeigen, wie brutaler Frauen*hass funktioniert, denn sie treten mit elitärem Anspruch als Agenten des Patriarchats auf. An ihnen sehen wir, wie weit Männer bereit sind zu gehen, welche Gewalt sie anwenden, um männliche Vorherrschaft zu verteidigen und auszubauen. Doch auch ganz „normale“ Männer profitieren von diesen exponierten Figuren und machen sich bei fehlendem Widerspruch zu deren Komplizen.
So findet sich beides – bei den Evangelikalen besonders deutlich zu sehen – die ruhigen, gläubigen, „beschützenden“ und „besorgten“ Männer, die mit beseelten Gesängen Frauen vor Arztpraxen belästigen. Auch wenn sie nicht selber Hand anlegen markieren sie doch die Feindbilder, unterscheiden lebenswertes von unwertem Leben, entwickeln Vorschriften, versammeln Frauenhasser des gesamten Spektrums und normalisieren verachtende Rhetorik. Und es gibt die, die zur Tat schreiten und das aufgreifen: die Breiviks und Balliets, die sich als selbst ernannte Kreuzritter zur Verteidigung des Abendlandes auf die religiösen Versatzstücke stützen, um in Märtyrer-Manier Queers, Frauen, Migrant*innen und Linke zu ermorden.
Soldatische und besorgte Männlichkeit gehen Hand in Hand. Sie eint, dass sie radikal unempathisch sind. Sie eint, dass sie nicht anerkennen, dass Frauen Menschen sind. Die Wortführer markieren die erwählten Opfer und die selbsternannten Verteidiger der jeweiligen Gemeinschaft schreiten zur blutigen Tat. Die Aufmärsche Al-Quds und Annaberg-Buchholz ziehen mit ihren Inhalten AntifeministInnen und Antisemit*innen des gesamten politischen Spektrums an. Hier laufen christliche FundamentalistInnen neben Identitären und monarchistische KatholikInnen neben Anti-Genderismus-VerschwörungsideologInnen. Beim Alquds-Tag sieht man schiitische Kleriker neben Anhängern der vom Iran finanzierten Hezbollah auf die Straße gehen. Mit dabei sind auch VerschwörungsideologInnen, Rechtsradikale, wie der Vorsitzende der Partei Deutsche Mitte Christopher Hörstel, und immer wieder linke Antiimperialisten, wie ehemalige Mitglieder des Jugendwiderstands.
KOMPLEXITÄT ALS FEINDBILD
In beiden Bewegungen wird der Kapitalismus als Ursache erodierender Verhältnisse völlig ausgeblendet. Das Geschlechterverhältnis soll entscheidend über die Trennung von Lohnarbeit und Hausarbeit vermittelt bleiben. Diese Binarität löst sich allerdings zunehmend auf, weil die Pluralisierung und Individualisierung von Gesellschaft für kapitalistische Zwecke nutzbar ist – so kann umfassender auf Arbeitskraft zugegriffen werden. In diesem Kontext ist die Verbreitung religiöser Ideologie der Versuch, sich gegen diese Expansion zu wehren, ohne den Kapitalismus in Frage stellen zu müssen. Sie versuchen mit religiöser Rhetorik und strenger Sexualmoral komplexe Entwicklungen zu vereinfachen und begegnen neuen Handlungsoptionen und -zwängen mit aller Gewalt und selbst auferlegten Einschränkungen.
Die Welt ist komplexer geworden, seit nicht mehr nur Männer draußen in der Welt unterwegs sind und über die Schicksale der Vielen bestimmen. Die Welt ist komplexer geworden, seit viele Stimmen sich einbringen. Diese Entwicklung ist für manche Menschen nicht akzeptabel und sie phantasieren sich eine Scheinwelt herbei, die anhand von reaktionären Konzepten vereinfacht ist und dadurch kontrollierbar scheint.
Die vermeintlichen Erklärungsmuster sind oft antisemitisch, in ihnen werden Juden und Jüdinnen als diffuse Weltmacht für gesellschaftliche Miseren verantwortlich gemacht. Der Antisemitismus findet sich in beiden Bewegungen.
Bei den AntisemitInnen des al-Quds ist er omnipräsent, beim 1000-Kreuze-Marsch zeigt er sich unter anderem im Unterstützungsnetzwerk. Was die Al-Quds-AntisemitInnen noch einmal deutlich von den völkisch-religiösen unterscheidet, ist ihr eindeutiger Hass auf Israel als Wurzel allen Übels. Dies wird auch nationalistisch begründet, indem Palästinenser*innen zu einer Nation erklärt werden, während die israelische Nationalstaatsgründung als „unnatürlich“ proklamiert und deshalb abgelehnt wird.
AUSBLICK
Feministinnen auf der ganzen Welt kämpfen gegen Gewalt, Femizide, Beschränkung reproduktiver Rechte und Rassismus. Leider kämpfen sie nicht immer gegen Antisemitismus. Wir wollen einen radikalen Feminismus mit internationalen Bündnissen und Allianzen, einen Feminismus, der sich den Kampf gegen Antisemitismus auf die Fahne schreibt. Denn eine Gesellschaftskritik, die Antisemitismus nur als Nebenwiderspruch begreift, ist zum Scheitern verurteilt. Wir streiten für die Anerkennung aller Frauen, trans, inter und queeren Menschen als Menschen. Wir wollen eine starke feministische Bewegung, die kapitalistische und patiarchale Verhältnisse umkrempelt! Pluralismus und Ausdifferenzierung in feministischen Kämpfen ist etwas Gutes – Lasst uns feministisch streiten!
…und gemeinsam patriarchalen AkteurInnen entgegentreten. Wenn dieses Jahr schon nicht gemeinsam auf der Straße, dann mit unseren Freund*innen und Genoss*innen im Netz unter dem hashtag #radikalerfeminismus. Wir wollen, dass sich die verschiedenen Kämpfe verbinden, anstatt sich zu vereinzeln, um große feministische Schlagkraft zu entwickeln.
Wir sind es leid, dass im Namen der Religion, der Kultur und der Nation unsere Freiheit eingeschränkt, unsere Körper kontrolliert, unsere Lebens- und Liebesweisen bedroht werden. Und wir wollen mehr als das, was ist! Wir wollen mehr als auf anti-emanzipatorische Kräfte zu reagieren. Wir wollen mehr, als unsere derzeitigen Rechte zu verteidigen und unter permanenter Bedrohung den Status quo zu erhalten:
Als Kommunist*innen und Feminist*innen wollen wir eine Gesellschaft, in der die Ausbeutung und Erniedrigung von Menschen für Kapitalinteressen oder gesellschaftliche Macht zum Ende kommt. Eine Gesellschaft in der Fortschritt den Menschen dient und nicht umgekehrt. In der niemand gezwungen ist, ihre*seine Arbeitskraft zu verkaufen oder unentlohnt zu Hause zu schuften. Diese Gesellschaft wäre eine, in der Menschen keine Religion mehr bräuchten, weil die Notwendigkeit auf ein besseres Leben zu hoffen, um morgens aus dem Bett zu kommen, nicht mehr besteht. Dies wäre eine Gesellschaft, in der Geschlecht nicht mehr mit Zuschreibungen verknüpft ist und somit kein reproduktives Organ den Verlauf eines gesamte/n Lebens bestimmen kann.
Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sind, in der Menschen lieben, wen sie wollen und selbst über ihre Körper verfügen. Wir wollen eine Gesellschaft der universellen Freiheit, eine globale Gesellschaft ohne nationalstaatliche Grenzen und Zuschreibungen von „Kultur“.
Wie kommen wir dahin? Durch eine Kritik, die Ambivalenzen mitdenkt, Unterschiede aushält und Komplexität als Chance begreift. Linksradikale Kräfte, die sich bündeln und dadurch die Stärke entwickeln, alles lahmzulegen und machbare und utopische Gegenentwürfe denk- und lebbar zu machen.
<<
KEINE HALBEN SACHEN.
FÜR EINEN RADIKALEN FEMINISMUS.
GEGEN DIE FEINDE DER EMANZIPATION.
(Zur Audioversion des Aufrufs)
———————
3.) http://www.disskursiv.de/2010/03/18/konservative-reconquista/
zum Weiterlesen: